DER ANACHRONISTISCHE ZUG
ODER
FREIHEIT UND DEMOCRACY
von Bertolt Brecht 1947
Frühling wurd’s in deutschem Land.
Über Asch und Trümmerwand
Flog ein erstes Birkengrün
Probweis, delikat und kühn.
Als von Süden, aus den Tälern
Herbewegte sich von Wählern
Pomphaft ein zerlumpter Zug
Der zwei alte Tafeln trug.
Mürbe war das Holz von Stichen
Und die Inschrift sehr verblichen
Und es war so etwas wie
Freiheit und Democracy.
Von den Kirchen kam Geläute.
Kriegerwitwen, Fliegerbräute
Waise, Zittrer, Hinkebein –
Offnen Maules stand’s am Rain.
Und der Blinde frug den Tauben
Was vorbeizog in den Stauben
Hinter einem Aufruf wie
Freiheit und Democracy.
Vornweg schritt ein Sattelkopf
Und er sang aus vollem Kropf:
„Allons, enfants, god save the king
Und den Dollar, kling, kling, kling.“
Dann in Kutten schritten zwei
Trugen ’ne Monstranz vorbei.
Wurd die Kutte hochgerafft
Sah hervor ein Stiefelschaft.
Doch dem Kreuz dort auf dem Laken
Fehlen heute ein paar Haken
Da man mit den Zeiten lebt
Sind die Haken überklebt.
Drunter schritt dafür ein Pater
Abgesandt vom Heiligen Vater
Welcher tief beunruhigt
Wie man weiß, nach Osten blickt.
Dicht darauf die Nichtvergesser
Die für ihre langen Messer
Stampfend in geschloßnen Reihn
Laut nach einer Freinacht schrein.
Ihre Gönner dann, die schnellen
Grauen Herrn von den Kartellen:
Für die Rüstungsindustrie
Freiheit und Democracy!
Einem impotenten Hahne
Gleichend, stolzt ein Pangermane
Pochend auf das freie Wort.
Es heißt Mord.
Gleichen Tritts marschiern die Lehrer
Machtverehrer, Hirnverheerer
Für das Recht, die deutsche Jugend
Zu erziehn zur Schlächtertugend.
Folgen die Herrn Mediziner
Menschverächter, Nazidiener
Fordernd, daß man ihnen buche
Kommunisten für Versuche.
Drei Gelehrte, ernst und hager
Planer der Vergasungslager
Fordern auch für die Chemie
Freiheit und Democracy.
Folgen, denn es braucht der Staat sie
Alle die entnazten Nazi
Die als Filzlaus in den Ritzen
Aller hohen Ämter sitzen.
Dort die Stürmerredakteure
Sind besorgt, daß man sie höre
Und nicht etwa jetzt vergesse
Auf die Freiheit unsrer Presse.
Einige unsrer besten Bürger
Einst geschätzt als Judenwürger
Jetzt geknebelt, seht ihr schreiten
Für das Recht der Minderheiten.
Früherer Parlamentarier
In den Hitlerzeiten Arier
Bietet sich als Anwalt an:
Schafft dem Tüchtigen freie Bahn!
Und der schwarze Marketier
Sagt, befraget: Ich marschier
Auf Gedeih (und auf Verderb)
Für den Freien Wettbewerb.
Und der Richter dort: zur Hetz
Schwenkt er frech ein alt Gesetz.
Mit ihm von der Hitlerei
Spricht er sich und alle frei.
Künstler, Musiker, Dichterfürsten
Schrei’nd nach Lorbeer und nach Würsten
All die Guten, die geschwind
Nun es nicht gewesen sind.
Peitschen klatschen auf das Pflaster:
die SS macht es für Zaster
Aber Freiheib braucht auch sie
Freiheit und Democracy.
Und die Hitlerfrauenschaft
Kommt, die Röcke hochgerafft
Fischend mit gebräunter Wade
Nach des Erbfeinds Schokolade.
Spitzel, Kraft-durch-Freude-Weiber
Winterhelfer, Zeitungsschreiber
Steuer-Spenden-Zins-Eintreiber
Deutesch-Erbland-Einverleiber.
Blut und Dreck in Wahlverwandtschaft
Zog das durch die deutsche Landschaft
Rülpste, kotzte, stank und schrie:
Freiheit und Democracy!
Und kam, berstend vor Gestank
Endlich an die Isarbank
Zu der Hauptstadt der Bewegung
Stadt der deutschen Grabsteinlegung.
Informiert von den Gazetten
Hungernd zwischen den Skeletten
Seiner Häuser stand herum
Das verstörte Bürgertum.
Und als der mephitische Zug
Durch den Schutt die Tafeln trug
Treten aus dem Braunen Haus
Schweigend sechs Gestalten aus.
Und es kommt der Zug zum Halten.
Neigen sich die sechs Gestalten
Und gesellen sich dem Zug
Der die alten Tafeln trug.
Und sie fahrn in sechs Karossen
alle sechs Parteigenossen
Durch den Schutt, und alles schrie:
Freiheit und Democracy!
Knochenhand am Peitschenknauf
fährt die Unterdrückung auf.
In ’nem Panzerkarr’n fährt sie
Dem Geschenk der Industrie.
Groß begrüßt, in rostigem Tank
Fährt der Aussatz. Er scheint krank.
Schämig zupft er sich im Winde
Hoch zum Kinn die braune Binde.
Hinter ihm fährt der Betrug
Schwenkend einen großen Krug
Freibier. Müßt nur, draus zu saufen
Eure Kinder ihm verkaufen.
Alt wie das Gebirge, doch
Unternehmend immer noch
Fährt die Dummheit mit im Zug
Läßt kein Auge vom Betrug.
Hängend überm Wagenbord
Mit dem Arm, fährt vor der Mord.
Wohlig räkelt sich das Vieh
Sing: Sweet dream of liberty.
Zittrig noch vom gestrigen Schock
Fährt der Raub dann auf im Rock
Eines Junkers Feldmarschall
Auf dem Schoß einen Erdball.
Aber alle die sechs Großen
Eingeseßnen, Gnadenlosen
Alle nun verlangen sie
Freiheit und Democracy.
Holpernd hinter den sechs Plagen
Fährt ein Riesentotenwagen
Drinnen liegt, man sieht’s nicht recht:
’s ist ein unbekannt Geschlecht.
Und ein Wind aus den Ruinen
Singt die Totenmesse ihnen
Die dereinst gesessen hatten
Hier in Häusern. Große Ratten.
Schlüpfen aus gestürzten Gassen
Folgend diesem Zug in Massen.
Hoch die Freiheit, piepsen sie
Freiheit und Democracy!